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Die wahren Gründe, sich über die FDP aufzuregen

Ein Kommentar unsere Bundesvorsitzenden Jürgen Joost.

Die FDP steht gerade am öffentlich-rechtlichen Pranger. Der Grund ist das sogenannte „D-Day“-Papier, in dem die Strategie für den Ampelausstieg dargestellt wurde. Der Vorwurf: es habe sich um einen sorgfältig geplanten Koalitionsbruch gehandelt.

Zwei Gegenfragen: 1. Um was denn sonst? 2. Na und?

Natürlich hat die FDP das Szenario der Beendigung der Ampel durchgespielt, alles andere wäre der pure Dilettantismus gewesen. Die Gedankenspiele haben sicherlich weit vor dem September begonnen, auf den das Papier jetzt allgemein datiert wird. Für die FDP ging es darum, eine allerletzte Chance zu wahren, bei der Bundestagswahl doch noch die 5-Prozent-Hürde zu überwinden. Dass der Verfasser des internen Papiers die Begriffe „D-Day“ und „offene Feldschlacht“ verwendet hat, mag geschmacklos und geschichtsvergessen gewesen sein. Dazu war es höchst unprofessionell. Aber es war ein internes Papier, das dann intern durchgestochen wurde. Wer sich in interner Runde niemals in Ton und Bildsprache vergriffen oder zumindest für Dritte grenzwertig geäußert hat, möge den ersten Stein werfen. Bei allen anderen ist es Heuchelei.

Also bitte einmal den Empörungslevel und die künstliche Aufgeregtheit herunterfahren. Kleinhirn an Großhirn …

Bei der FDP gibt es ganz andere Dinge, über die man sich zu Recht aufregen kann:

Koalitionsbruch mindestens zwei Jahre zu spät

Zum einen darf der Bruch der Ampel nicht darüber hinweg täuschen, dass die FDP drei Jahre Ampel-Politik zu verantworten hat, davon mindestens zwei Jahre zu viel. Der Ausstieg hätte spätestens vollzogen werden müssen, als SPD und Grüne mitten einer Energiekrise partout den einst von CDU/CSU und FDP (!) beschlossenen endgültigen Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie durchsetzen wollten. Die FDP ist eingeknickt. Sie trägt massive Mitverantwortung nicht nur an der Konzeption, sondern auch am Vollzug der katastrophalen „Energiewende“. Sie ist somit maßgeblich mitverantwortlich für die fortschreitende Deindustrialisierung Deutschlands. 

Aus Wirtschaftskreisen höre ich hin und wieder, die FDP habe in der Ampel immerhin „das Schlimmste verhindert“. Andersherum wird ein Schuh draus: Sie hat vieles Schlimme überhaupt erst ermöglicht. Sie hat nicht darauf bestanden, nach dem russischen Überfall auf die Ukraine den Koalitionsvertrag neu zu verhandeln und an die Realitäten anzupassen oder eben die Koalition zu verlassen.

Lindners mangelndes Urteilsvermögen

Dies alles ist auf das mangelnde Urteilsvermögen des Parteichefs und früheren Finanzministers Christian Lindner zurückzuführen. Er war es, der sich von Schlitzohr Scholz hat bequatschen lassen, einen verfassungswidrigen Haushalt vorzulegen und nicht in der Lage war, dies selbst zu erkennen. Der frühere ukrainische Botschafter Andrej Melnyk berichtet, dass ihm Lindner unmittelbar nach der russischen Invasion geraten habe, die Niederlage zu akzeptieren: „Euch bleiben nur wenige Stunden.“ Welch eine großspurige Fehleinschätzung.

Wähler, hört die Signale…

Zum mangelnden Urteilsvermögen der FDP insgesamt gehört auch, dass einer couragierten und eigenständigen Abgeordneten wie Katja Adler in Hessen der letzte überhaupt noch denkbare Listenplatz vier versagt wurde. Mit Listenplatz 22 besteht nicht die geringste Chance auf ein neues Mandat. Der profilierten Liberalen Linda Teuteberg droht in Brandenburg ein ähnliches Schicksal. Manche erinnern sich noch daran, dass sie 2019 auf Vorschlag von Lindner zur Generalsekretärin berufen wurde, um sie dann bereits 2020 auf Veranlassung desselben Vorsitzenden in einem die Ampel vorbereitenden Schachzug ausgerechnet gegen damaligen rheinland-pfälzischen Wirtschaftsminister Volker Wissing auszuwechseln, der jetzt in Treue fest zu Scholz sein Ministerium bis zum letzten politischen Atemzug auskosten möchte. Jetzt hat Lindner nach Opferung von Bijan Djir Sarai zum Zwecke der Selbstrettung ausgerechnet Marco Buschmann zum Generalsekretär gemacht, den maßgeblichen Architekten des Cannabis- und des Selbstbestimmungsgesetzes. Ausgerechnet ihn. Welch ein Signal.

Klotz am Bein der FDP

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Der größte Klotz am Bein der FDP ist Christian Lindner, dessen öffentliche Auftritte von vielen betretenen Zuschauern als Wechselspiel zwischen unerträglichen Arroganzanfällen und peinlichen Selbstmitleidsattacken wahrgenommen werden. 

Was für ein jämmerliches Bild im Vergleich zum alten Schlachtross Wolfgang Kubicki: „Ich bekenne mich schuldig. Ich wollte das Ende dieser Koalition, deren Gewürge unserer Wirtschaft und unserem Ansehen massiv geschadet hat“. So macht man das. Kurzfristig anschwellender Pulsschlag links der Mitte, Thema anschließend durch. 

So oder so ein Sanierungsfall

Nun wird die FDP vor der Bundestagswahl Lindner nicht mehr auswechseln können. Aber ich bleibe dabei: Sollte die FDP den Sprung in den Bundestags gerade noch schaffen, dann aus einem einzigen Grund: Weil es für ausreichend Wähler strategische Gründe geben mag, dass neben CDU/CSU unbedingt eine zweite bürgerliche Fraktion im Parlament vertreten sein sollte. Christian Lindner wird auch das nicht retten. So oder so ist die FDP inhaltlich wie personell ein Sanierungsfall.

Christian Lindner hat nach meiner Überzeugung seine politische Zukunft bereits hinter sich. Er selbst wird es wissen und eine Pyramide mit Ausstiegsoptionen liegt gewiss in der privaten Schublade.

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